Die Biberacher Bürgerwehr von 1848 – damals

Biberach konnte im 19. Jahrhundert auf eine alte Tradition als ehemalige freie Reichsstadt zurückblicken. Während die Stadt nach ihrer Mediatisierung Baden gehörte, fiel sie 1806 an Württemberg. Damals war das Problem einer zunehmenden Verarmung der städtischen Unterschicht bereits unübersehbar; sichtbar wurden in der gemischtkonfessionellen Stadt ebenso Konflikte um religiöse Fragen. Die überwiegend konservative Haltung der Einwohner mag wohl der Grund gewesen sein, dass die revolutionären Ereignisse von 1848 und 1849 in Biberach selten ordnungsbedrohende Ausmaße annahmen. Nachdem der revolutionäre Funke von Frankreich nach Baden übergesprungen war, wurde dennoch – begünstigt durch die Wirtschaftskrise 1846/47 – auch Biberach von der politischen Bewegung ergriffen.
Im November 1847 wurde ein Verein für Bürgerversammlungen gegründet, um gewerbliche und städtische Interessen wahrzunehmen und Wünsche, Bitten und Beschwerden zu formulieren. Am 10. März 1848 beschloss der Biberacher Gemeinderat, dem Abgeordneten für den Biberacher Oberamtsbezirk 13 von der Bürgerversammlung vorgeschlagene Wünsche an den König mitzuteilen. Dazu gehörte unter anderem die Forderung nach Einrichtung eines deutschen Parlamentes, nach Versammlungsfreiheit, nach Förderung des Gewerbes und nach Volksbewaffnung.
Am „Franzosensamstag, den 25. März 1848“ trafen in der Frühe berittene Eilboten ein und berichteten über in Baden eingefallene französische Truppen und plündernde Horden, welche über den Schwarzwald nach Württemberg zögen. Eine eilends auf dem Biberacher Marktplatz organisierte Bürgerversammlung organisierte die Verteidigung. Zu Gefechten kam es damals nicht. Anderntags konnte man in der Zeitung lesen, dass alles nur ein Gerücht gewesen war.

Nachdem König Wilhelm „das Gesetz zur Volksbewaffnung“ am 1. April 1848 erlassen hatte, wurde in Biberach die Bürgerwehr gegründet, welche schon am 3. Juli 1848 ein Bataillon, bestehend aus 4 Kompanien und insgesamt 400 Mann, stellte. Die Schützen-Kompanie bestand aus einer Anzahl von Mitgliedern der Schützengesellschaft, die teilweise ihre eigenen Waffen mitbrachten. Die drei Musketier-Kompanien hatten anfangs gar keine Waffen. Aus der inzwischen gegründeten Bürgerwehr-Ausrüstungskasse wurden Ende Juli 300 Musketen gekauft und an die Wehrmänner für 18 Gulden und 30 Kreuzer abgegeben; Minderbegüterte konnten ihr Gewehr in Raten zahlen.
Eine Kompanie bestand aus Mitgliedern der 1847 gegründeten Turngemeinde. Die gesamte Bürgerwehr unterstand dem Befehl des Kommandanten Julius Kiderlen, einem Kaufmann.
Eine Schießstätte wurde zwischen des Lautenwirts Keller (hinter dem heutigen Arbeitsamt) und dem Mittelberg eingerichtet; die vom Stadtschultheißenamt für die Bürgerwehr erarbeiteten Schießvorschriften wurden von einigen Mitgliedern der Schützengesellschaft umgesetzt, in dem sie die Aufgabe übernahmen, den Musketieren das Schießen beizubringen, denn die meisten Wehrmänner hatten zu diesem Zeitpunkt noch nie ein Gewehr in der Hand gehabt.
Der einzige blutige Zwischenfall bei der Biberacher Bürgerwehr ereignete sich, als sich ein Wehrmann am Franzosensamstag „da Dauma abgschossa“ hatte.
Zur Bürgerwehr-Infanterie gesellte sich dann im August eine 23 Mann starke berittene Abteilung, die Bürgerwehr zu Pferd. Die Frauen und Jungfrauen Biberachs verehrten den wackeren Bürgerwehr-Männern eine selbst gefertigte Fahne, welche mit großer Feierlichkeit eingeweiht und der Bürgerwehr übergeben wurde.
Doch schon zwei Jahre später gaben viele Bürgerwehrmänner ihren Wehrdienst mitsamt vaterländischer Begeisterung wieder auf; die Schießübungen und Paraden der Bürgerwehr wurden immer seltener, weil „älles bloß a Weile lang nätt isch“. Da auch die Regierung die Nutzlosigkeit des Bürgerwehr-Gesetzes erkannte, hob sie es 1853 wieder auf. Die Musketen wurden verkauft, nach 11 Jahren war von der Bürgerwehr nichts mehr übrig als der graublaue Waffenrock, den sich jeder Wehrmann zulegen musste. Dieser Waffenrock diente sicher lange Friedensjahre noch als viel getragener Bierkittel.
Das Schicksal der Bürgerwehr-Fahne ist nach wie vor ungeklärt.

Die Biberacher Bürgerwehr von 1848 – heute
Wiedererwacht war das Traditionsbewusstsein der Biberacher im Hinblick auf die alte Bürgerwehr. Um die Schützengilde Biberach 1481 e.V., welche traditionell das Armburst-Schießen der Biberacher Schüler am Schützenmontag durchführte, in das Biberacher Schützenfest einzubinden, wurde aufgrund einer Initiative von Robert Pfender (Mitglied der Schützendirektion und Ehren-Offizier der Biberacher Bürgerwehr) und Fritz Thierer (Ehrenvorsitzender der Schützendirektion) im Jahr 1977 die Biberacher Bürgerwehr vom damaligen Schützendirektor Fritz Kolesch, dem Festzugleiter Gerhard Rothenbacher sowie von Sportschützen der Schützengilde Biberach 1481 e.V. unter ihrem Oberschützenmeister Dieter Freude wieder gegründet.

Die Ausstattung der Truppe war erst durch die Stiftung eines Freundes und Gönners des Biberacher Schützenfestes, dem mittlerweile verstorbenen Senator Dr. Hugo Rupf, möglich geworden. Aus Mitteln dieser Stiftung wurden die Uniformen angeschafft, welche Peter Geiwitz nach einigen Recherchen aufgrund historischer Vorlagen entworfen hatte.
Als Robert Pfender die in Frage kommende Bewaffnung prüfte, stifteten die Vollmer-Werke Biberach die selbst hergestellten „Vollmer-Stutzen“. Dieter Freude als erster Hauptmann (heute Ehrenoffizier) der Biberacher Bürgerwehr recherchierte die alten Kommandos und Schießvorschriften, nach denen die Wehrmänner heute noch ihre Gewehre handhaben.
So konnte die wieder gegründete Bürgerwehr erstmals im Jahr 1978 an den historischen Festzügen des Biberacher Schützenfestes teilnehmen.
Die Biberacher Bürgerwehr ist heute ein nicht eingetragener, gemeinnütziger Verein und dient ausschließlich der Brauchtumspflege und nicht der „Beförderung der Wehrhaftigkeit“; die Wehrmänner und Musiker sind friedliebend und die von westlich des Rheins herkommenden Menschen sind keine unheilbringenden Franzosen, die es abzuwehren gilt, sondern friedliche Nachbarn, gute Freunde und willkommene Gäste.

Die Kompanie besteht aus einem Schützenzug und einem Musikzug.
Der Schützenzug rekrutiert sich heute aus Sportschützen der Schützengilde Biberach 1481 e.V. und des Schützenvereins Ringschnait e.V.; alle Schützen und Offiziere sind im Besitz eines Schwarzpulver- und Böllerscheines.
Er setzt sich zusammen aus:
– 1 Hauptmann
– 1 Leutnant
– 1 Unteroffizier mit Gewehr
– 1 Oberfähnrich mit Fahne
– 20 Wehrmännern mit Gewehr
– 1 Pulvermann
– 1 Marketenderin
– 5 Trommlern
– 5 Fanfaren
Der Musikzug besteht aus vereinseigenen Stammmusikern, 5 Trommlern und 5 Fanfaren, und aus Schülern der Karl-Arnold-Schule mit 9 Trommlern und 9 Fanfaren.
Die Bewaffnung der Schützen besteht aus einem Perkussions-Vorderlader-Gewehr, hier eine Nachbildung des „Schweizer Feldstutzer Modell 1851“ im Kaliber 10,4 mm und einem Hirschfänger (Seitengewehr), welches beim Historischen Festzug aufgepflanzt wird. Hauptmann und Leutnant tragen einen Säbel.
Die Uniformen bestehen aus
– einem grauen Rock mit einer zweireihigen Knopfleiste und blauem Besatz,
– einer hellgrauen Hose mit blauer Biese und
– einem hellgrauen, rechts aufgeschlagenem Hut mit Agraffen (Farben je nach Dienstgrad – Offiziere gold, Oberwehrmänner schwarz/rot, Wehrmänner schwarz)
Aufgrund der Ehrungs- und Disziplinar-Ordnung gibt es für Verdienste und Treue folgende Auszeichnungen für die Mitglieder des Schützenzuges:
– nach 7 Jahren eine blau-gelbe, mit einem Biber versehene Schulterschleife,
– nach 10 Jahren den Bürgerwehrkrug mit Zinndeckel und Namen,
– nach 14 Jahren den Bürgerwehrorden in Silber am schwarz-roten Band mit eingraviertem Namen,
– nach 21 Jahren den Bürgerwehrorden in Gold am schwarz-rot-goldenen Band mit eingraviertem Namen,
– nach 28 Jahren das Bürgerwehrkreuz in Silber am schwarz-roten Band mit eingraviertem Namen und
– nach 35 Jahren das Bürgerwehrkreuz in Gold am schwarz-rot-goldenen Band mit eingraviertem Namen.
Schützenschnüre erhalten die Mitglieder des Schützenzuges für Schießleistungen
während des Bürgerwehr-Pokalschießens:
– blau/blau für 7+8 Ringe,
– blau/gelb für 9 Ringe und
– gelb/gelb für 10 Ringe
Fahnenflucht, Wehrkraftzersetzung und Insubordination werden mittels Disziplinar-Urkunden geahndet!

Die Biberacher Bürgerwehr betreibt Brauchtumspflege nicht nur während des Biberacher Schützenfestes, sondern auch durch die Teilnahme an Veranstaltungen der Schützengilde Biberach 1481 e.V. und anderen Schützenvereinen, durch Üben und Ausführen altüberlieferter Kommandos sowie durch Salut- und Scheibenschiessen.
Wie damals kommen auch heute Geselligkeit und Kameradschaft bei der Bürgerwehr nicht zu kurz!